Für mich persönlich ist dies gerade eins der wichtigsten Themen, mit denen ich mich auseinandersetzte. Das Wissen um die Auswirkungen dieser frühkindlichen Belastung ist in Verbindung mit dem Inneren Kind, der Schattenarbeit und modernen Spiritualität eine ganzheitliche Betrachtung und Transformation unserer inneren Konflikte und Leid.
JEDER von uns hat auf die eine oder andere Art und Weise Entwicklungstraumata erlebt. Davon bin ich überzeugt und diese Tatsache macht das Thema so unglaublich relevant und bedeutsam in der Selbsterkenntnis. Es war das größte Aha-Erlebnis als ich begriffen habe, dass die Jahre an innerer Heilung und Integration verdrängter Anteile und Emotionen mich nur bis zu einem bestimmten Punkt bringen können. Die letzte Bastion, die tiefste Ebene der Heilung manifestiert sich im Körper und genauer in der Regulation des Nervensystems. Wenn du also auch schon länger auf der Weg der Heilung und Transformation durch Selbsterkenntnis bist, kann dieses umfangreiche Thema der Schlüssel zu einer weiten, neuen Ebene der Erkenntnis und Heilung sein.
Was bedeutet Entwicklungstrauma?
Klassischerweise wird unter einem traumatischen Erlebnis das Erleben einer lebensbedrohlichen Situation verstanden z.B.ein Terroranschlag, Missbrauch, Krieg, Naturkatastrophen, Gefangennahme usw. Dies sind Erlebnisse, die sich meist singulär und sich sehr intensiv auf die Person auswirken. Dies wird Schocktrauma genannt und beschreibt das geläufige Verständnis von Trauma.
Entwicklungstrauma dagegen beschreibt ein über einen langen Zeitraum, meist Jahre andauernde, bedrohliche, bzw. nicht optimal auf die Bedürfnisse eingestimmte Umgebung für das heranwachsende Kind. Dadurch ist es ein sehr abstraktes und schwer greifbares Thema, vor allem wenn man sich bisher noch nicht mit der eigenen Biografie auseinandergesetzt hat und gerade der frühen Kindheit nicht viel Bedeutung geschenkt hat. Wie in anderen Artikeln schon beschrieben, sind die ersten paar Jahre jedes Menschen die entscheidendsten und prägendsten. Das Fundament für das Selbst entsteht hier und egal was später drauf gebaut wird, es braucht hier Stabilität, Fürsorge und Schutz.
Um es einfach zu halten, möchte ich jetzt hauptsächlich das am schwierigsten zu greifende und in meinen Augen auch verbreitetste Dynamik beschreiben, die Entwicklungsstörungen- und Traumata zur Folge hat, nämlich Vernachlässigung. Es gibt noch viele andere Dynamiken wie Missbrauch und Verlust sowie viele weitere Facetten, die Entwicklungstrauma entsteht lassen können und ich würde jedem interessierten wärmstens das Buch Entwicklungstrauma heilen empfehlen, was sich sehr intensiv und heilsam mit dieser Thematik auseinandersetzt.
Vernachlässigung
Dass vielleicht am schwierigsten zu greifende der 3 Themen. Vernachlässigung bezieht sich nämlich nicht nur auf räumliche Distanz, d.h. die Eltern haben uns als Kind viel alleine gelassen, schreien lassen, sondern vielmehr auch auf das nicht-erfüllen unserer wichtigsten Bedürfnisse. Bedürfnis nach Nähe, nach Fürsorge, nach Wärme, nach Nahrung und all das, womit sich das Kind beschützt, sicher und im Vertrauen mit der Umgebung fühlt. Wenn die Eltern nur bedingt auf das Kind eingestimmt sind (also ein Gefühl und Zugang zu seinen wahren Bedürfnissen und momentanen erleben haben), führt das beim Kind zu Leid. Durch Schreien versucht es diese Bedürfnisse in Kontakt zu bringen, wenn sie dann immer noch nicht erfüllt werden (können), wird dieses Erlebnis/Bedürfnis abgespalten, verdrängt um weiter überleben zu können. Begrenzte Glaubenssätze und Ego entstehen hier.
Das kann z.B. sein, dass wir innerlich aufgewühlt und durcheinander sind und sich das ganze durch Nörgeln und schreien ausdrückt. Wenn die Eltern (Bezugspersonen) dann darauf abgeneigt, urteilend oder mit Distanz reagieren, fühlt sich das Kind mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen alleine gelassen. Wenn es dann noch dafür „bestraft“ wird, dass es sein Innenleben so laut nach außen ausdrückt, lernt es diese Dinge herunterzuschlucken und zu verdrängen.
Die Folge ist ein auf scham-basierendes Selbstbild „Ich verdiene keine Liebe und Zuneigung, ich bin falsch und schlecht“, „Was ich will zählt nicht, ich werde nie ganz bekommen, was ich wirklich brauche“. Das Kind hat in dieser frühen Entwicklungsstufe kein Referenzpunkt, versteht nicht, dass es die Begrenzungen der eigenen Eltern sind (die in ihrer Kindheit ähnliche Entwicklungstraumata erlebt haben und diese jetzt unbewusst weiter geben, da sie nicht aufgearbeitet und aufgelöst werden konnten), die eine vollkommene Bedürfnisbefriedigung verhindern. Es sieht sich als Ursache aller Probleme und nicht erfüllten Grundbedürfnisse.
Von außen kann man auf diese Familiensituation schauen und es sieht alles normal aus. Das Kind hat zu essen und Kleidung, ein eigenes Zimmer und verheiratete Eltern. Doch was fehlt, ist etwas, für dass das Kind keine Namen hat, es weiß nur, dass ihm etwas Essenzielles fehlt und um mit diesem Mangel zu leben, wird das Leid von unserem Bewusstsein abgespalten.
Es ist das Nervensystem, welches jetzt in dieser Übererregung feststeckt, was immer noch angespannt, panisch und im Kampf oder Flucht Modus agiert. Somit wird das bewusste Erleben dieses Mangels zwar zur Seite geschoben, der Körper erlebt die Situation aber unverändert weiter und schon bald (bleiben diese Umstände bestehen) wird dies zur Normalität und als Erwachsener kennen wir gar kein anderes Leben, weil diese Anspannung, Panik und Übererregung (oder auch der Shut-Down, also das innere zumachen, verschließen und in Erstarrung zu verfallen) unser „Normalzustand“ wird.
Positive Rückmeldung und Bestärkung für das Kind, das Erleben der eigenen Autonomie durch gesunde Grenzen die von den Eltern vorgelebt werden, körperliche Zuwendung und Nähe, emphatisches spüren des Innenlebens des Kindes, Bewusstes und ehrliches erleben der eigenen Innenwelt. All das sind die Grundsteine einer gesunden kindlichen Entwicklung. Wenn diese gar nicht oder nur bedingt erfüllt werden, manifestiert sich das in einem verzerrten Selbstbild (das Kind interpretiert die Erfahrung durch seine begrenzte Wahrnehmung und wenn der begrenzte Glaubenssatz zur Normalität wird, steht dieser im Widerspruch zu dem, was gerade „wirklich“ passiert) und einem Nervensystem, welches sich nach Regulation sehnt, also einem wieder „einpendeln“ in einen ausgeglichenen, entspannten Zustand.
Warum „normale“ Therapie hier nicht wirkt
Wie schon erwähnt, verankern sich diese frühkindlich erlebten Prägungen tief im Nervensystem und erlebt man diese über einen längeren Zeitraum, werden sie zur neuen Realität. Anspannung, Verspannung und Kurzatmigkeit sind nur einige der Symptome die sich durch ein nicht-reguliertes Nervensystem entwickeln. Man kann also sagen, dass ein Entwicklungstrauma sich nicht auf mentaler oder emotionaler Ebene auflösen kann (auch wenn diese Ebenen Teil des Heilungsprozesses sind). Vielmehr geht es darum in ein Zustand von Sicherheit, Entspannung und Lockerheit zu gelangen, vor allem im Erleben dieser schwer aushaltbaren Zustände.
Durch Vertrauen und sicheren Kontakt kann ein Beziehungsrahmen entstehen, durch den ganzheitlich alle Ebenen des Seins angeschaut und in Verbindung gebracht werden können. Durch somatische (körperliche) Achtsamkeit und das Wiederverbinden mit dem körperlichen Erleben, können sich diese Blockaden und alten Wunden nach und nach zeigen und auflösen.
Ich bin überzeugt, dass das Wissen um die Funktion des Nervensystems (siehe auch Polyvagal Theorie) und die Entstehung und Auswirkung von Entwicklungstrauma einen der Kernpunkte für globale Veränderung und Heilung ist / weiter sein wird. Kollektiv sehnen wir uns alle nach Heilung, Entspannung und Freude. Die Lektionen die sich aus der Auseinandersetzung mit diesem Thema ziehen lassen, haben weiterreichende Implikationen.
In meinem Leben kann ich berichten, wie viel ehrlicher und verletzlicher mein Kontakt mit mir und meinen nahestehenden Menschen geworden ist. Das bietet nicht nur den Raum für mehr Nähe und tiefere Beziehungen, sondern beruhigt nebenbei das Nervensystem auf tiefe Art und Weise, was zu tief empfundener Freude, Weite und Klarheit führt. Wo ich früher in Krisen in die emotionale Heilung gegangen bin, spüre ich jetzt vielmehr in den Körper und gehe sozusagen auf die Ebene der Ursache um Heilung zu erfahren. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass dieses so unglaublich wichtige Thema zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben getreten ist. Ich hoffe, einen Funken davon an euch weitergeben zu können.
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